Freitag, November 25, 2005

Essay # 1 (25-11-05)

Evolutionismus
Von welchen Prämissen geht der Evolutionismus aus und wie können die Grundannahmen und Forschungsergebnisse des Evolutionismus in der heutigen Sozial- und Kulturanthropologie integriert und bewertet werden?

Diskutiere die theoretische Basis dieser anthropologischen Strömung im Zusammenhang mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen bzw. mit politischen und wirtschaftlichen Kategorien der Gegenwart.


1. Einleitung

Als Evolutionismus wird eine Richtung in der Kultur- und Sozialanthropologie bezeichnet, die auf der Grundidee basiert, dass die Menschheit verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft und es somit auch verschiedene Stufen von Kultur gibt. Das Wort „Evolutionismus“ selbst stammt vom lateinischen Wort „evolutio“, das „Entwicklung“ bedeutet, ab.[1]

Diese wird aufsteigend betrachtet, das heißt, das Einfache und Primitive steht am Beginn und entwickelt sich zu etwas Komplexem, Vielschichtigem hin.[2]

Wie die Bezeichnung schon andeutet, wurde der Evolutionismus vor allem durch die von Charles Darwin aufgestellte Theorie über die natürliche Zuchtwahl beeinflusst, von der sich die darauf folgenden Evolutionstheorien ableiten lassen.
Hier anzuführen ist sein wohl bekanntestes Buch „On the origin of species by means of natural selection...“ (1859).

Doch dieses Werk war nicht das einzige, das die ethnologischen Evolutionisten beeinflusste, denn bereits drei Jahre vor dessen Erscheinung publizierte Johann Jakob Bachofen „Das Mutterrecht“. In diesem vertrat er das Entwicklungsschema Hetärismus (Frauen werden von Männern nur als Sexualpartner missbraucht) Mutterrecht - Vaterrecht. Dieses Schema wird allerdings nicht mehr als zeitgemäß betrachtet. [3]

Allgemein war es jedoch den britischen Anthropologen laut Alan Barnard in seinem Buch „History and Theory in Anthropology“ (2000), in erster Linie ein Anliegen, eine Verbindung zwischen den „primitiven“ Völkern aus den Kolonien und dem England der damaligen Zeit herzustellen.


2. Die vier Ströme

Im Großen und Ganzen kristallisierten sich vier Ströme heraus: der unilineare, universale und multilineare Evolutionismus und auch der Neodarwinismus.


1. Unilinear bedeutet, dass alle Gesellschaften dieselben Stadien durchlaufen müssen. [4] Viele Wissenschaftler waren der Ansicht, Matrilinearität käme vor der Patrilinearität, nur waren die Erklärungen dafür sehr verschieden.

Über die Irokesenvölker in Nordamerika war Lewis Henry Morgan der Ansicht, dass sich diese in einem matrilinearen Stadium befänden, das vor einem patrilinearen und nach der Promiskuität kommen solle.[5]

Viele Mitglieder der Ethnological Society waren überzeugt davon, dass eine Ähnlichkeit der zeitgenössischen so genannten Wilden und den ausgestorbenen primitiven Rassen bestehe, womit die indigenen Völker ins Interesse der frühen Anthropologie rückten.
Jene Ähnlichkeit verband Tylor mit seinem Konzept von den „survivals“ oder Überbleibseln: Kulturmerkmale wie Bräuche etc. existieren in Gesellschaften weiter, obwohl sie keine Funktion mehr haben und stellen praktisch Relikte früherer Stadien der Menschheitsentwicklung dar.[6]

Auch bezüglich der Religion stellte Tylor eine Theorie auf – ausgehend vom Animismus (die materielle Welt ist beseelt) gäbe es eine Weiterentwicklung zum Totemismus, gefolgt von Polytheismus und Monotheismus. [7]


2. Als Abschwächung zum unilinearen Evolutionismus, entwickelte sich der universelle.
Hier verfechtete insbesondere Morgan die These, dass sich die Menschheit von „Wildheit“ über „Barbarei“ bis hin zur „Zivilisation“ hin entwickelt habe, was er auch in seinem Buch „Ancient Society“ (1877) diskutierte.
Anstoß zu dieser Entwicklung der Menschen sollen laut ihm Wirtschaft und Soziales gegeben haben, also auch technologische Errungenschaften, was ihn wiederum zu einem siebenstufigen Evolutionsschema führte.[8]


3. Julian H. Steward war ein Vertreter für den multilinearen Evolutionismus – die Devise lautete: Weg von den Verallgemeinerungen und problematischen Behauptungen - Entwicklungen seien immer abhängig vom ökologischen Umfeld.[9]


4. Der Neodarwinismus ist eng mit der Soziobiologie verbunden und auch viel offener. Mit ihm werden Namen wie E. O. Wilson oder auch Robin Fox in Verbindung gebracht. Letzterer vertrat die Ansicht, dass die menschliche Gesellschaft ihr Fundament in der tierischen Soziabilität habe, das heißt, menschliche Verwandtschaftssysteme fänden sich auch unter denen von nicht-menschlichen Primaten wieder. Während einige Spezies sich auf die Abstammung (direkte Generationsnachfolge) beziehen, überwiegt bei anderen das Allianzenschema (durch Heiratsbeziehungen).[10]

Weitere bekannte Anthropologen, die ebenfalls den Evolutionismus vertraten, waren unter anderem John Ferguson McLennan (beschrieb Heiratssitten), Sir Henry Maine, Julian A. Pitt-Rivers oder auch James George Frazer („The Golden Bough“).


3. Kritikpunkte

Ein weiterer Faktor für den Evolutionismus war auch die Annahme, dass Menschen geistig gleich geschaffen seien und sich somit auch auf dieselbe Art und Weise entwickeln können. Diese Voraussetzung der „psychic unity of man“ postulierte insbesondere Tylor in seinem Werk „Primitive Culture“.[11]

Zwar könne man sagen, dass sein Grundsatz, dass alle Menschen gleichwertig sind, ohneweiteres zu befürworten ist, doch der mögliche Schluss, nämlich dass es ein bestehendes einheitliches Entwicklungsschema für die gesamte Menschheit gäbe, ist fraglich und aus Sicht der heutigen Kultur- und Sozialanthropologie abzulehnen.

So waren viele Verfechter des Evolutionismus durchaus überzeugt davon, dass das Endprodukt dieser Weiterentwicklung der menschlichen Kultur die westliche Gesellschaft sei.

Diese Ansicht wird gemeinhin als Ethnozentrismus bezeichnet, also praktisch die Annahme, das eigene Volk bzw. die eigene Kultur stehe an der Entwicklungsspitze. Damit verbunden ist allerdings auch eine Wertung, da aus dieser Sicht heraus andere Formen der Kultur unterentwickelt und somit von geringerem Wert scheinen. Folglich kann man aus dieser Einstellung heraus anderen Kulturkreisen ihre Unterschiedlichkeit von der eigenen nicht zugestehen, wodurch das Verständnis und die Toleranz anderen Ethnien gegenüber stark beeinträchtigt sind.[12]
In der Zeit der Kolonialisierung konnte man besonders gut beobachten, dass sich der „weiße Mann“ dazu berufen fühlte, die „armen Wilden“ zu bekehren, sprich: zu missionieren und vor allem sie zu zivilisieren. Man sah sich als Wohltäter, der sich barmherzig den Primitiven annimmt.
Eng verbunden mit der Anschauung des Ethnozentrismus ist der Eurozentrismus, der Europa als westliches Ideal hernimmt und als Maßstab für außereuropäische Kulturen hernimmt.[13]

Weiters zu beachten gilt, dass beispielsweise durch Migrations-, oder Globalisierungsprozesse Annäherungen von verschiedenen Kulturen entstehen können, die sich dann gegenseitig beeinflussen und neue Kulturmerkmale schaffen. Solche Aspekte, die dem Diffusionismus zugehörig sind, werden von reinen Evolutionisten außer Acht gelassen.[14]


4. Einfluss auf andere Disziplinen

Evolutionistische Ansätze und Theorien finden sich auch in anderen Disziplinen wieder. In erster Linie in der Biologie durch die Darwin’sche Evolutionstheorie, doch auch in der Archäologie war man nicht untätig. Nennenswert in letzterem Fall ist die Drei-Zeitalter-Theorie, die drei Stadien vorsieht: Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit.[15]

Besonders erwähnenswert ist auch die Soziologie, da viele von ihren Wissenschaftlern mit ihren Theorien auch Einfluss auf die Anthropologie hatten.
Beispiel hierfür ist Herbert Spencer, der von manchen als Begründer des Sozialdarwinismus betrachtet wird. Weiters sorgte er auch für die Verbreitung seiner These „survival of the fittest“: Derjenige, der am meisten angepasst ist, überlebt und setzt sich langfristig durch.[16
]

Allgemein ist hier hinzuzufügen, dass die Bandbreite der Disziplinen, die evolutionistisches Gedankengut inne haben, groß ist, da es teilweise auch inhaltliche Überschneidungen gibt und der wissenschaftliche Diskurs ohnehin disziplinenübergreifend stattfand.


5. Nachwirkungen auf die Gegenwart

Auch heute noch haben evolutionistische Sichtweisen großen Einfluss. Auf Morgans Einteilung der Menschen in Unter-, Mittel- und Oberklassen nahmen insbesondere Karl Marx und Friedrich Engels in ihren Schriften Bezug, die auch heute noch im Gedankengut von diversen politischen Parteien eine große Rolle spielen. Für sie bildeten die Klassenkämpfe - anders ausgedrückt Konflikte, die sich aus den Strukturen heraus ergeben - die Grundlage für die soziale Evolution.

Im Falle des Ethnozentrismus sieht man auch hier die früher industrialisierten Staaten an der Spitze der Entwicklungspyramide und diejenigen, die weniger entwickelt sind, als Länder, die sich deren Errungenschaften noch aneignen müssen.

Diese Sichtweise wird auch heute noch von vielen vertreten, doch ist auch hier der Kritikpunkt die Annahme einer Entwicklungslinie, die für alle Gesellschaften auf der ganzen Welt gelten soll, ohne einzelnen Gruppen ihren eigenen und von „moderneren“ Kulturkreisen unabhängigen Fortschritt in eine Richtung zuzugestehen, die sich von anderen Varianten unterscheidet.[17]

Nur zu schnell ist man versucht, über andere zu urteilen bzw. sie zu verurteilen. Eine differenzierte Sichtweise ist hier also erforderlich, Wertungen sollten vermieden werden. Dies bedeutet aber nicht, vor offensichtlicher Ungerechtigkeit (obwohl Gerechtigkeit auch wieder subjektiv unterschiedlich empfunden wird) die Augen zu verschließen, ganz im Gegenteil. Es ist nicht falsch, die Existenz von Entwicklungen anzuzweifeln, doch es ist problematisch anzunehmen, dass alle die gleichen Entwicklungsstadien zwangsweise durchlaufen müssen.[18]

Meine persönliche Schlussfolgerung aus dieser Thematik ist, dass es wohl in der Natur des Menschen liegt, alles in Kategorien zu unterteilen und eine Übersicht schaffen zu wollen. Selber ist man selbstverständlich der Gipfel der Schöpfung.

Wie könnte es auch anders sein?

_____________________

Quellen/Referenzen

[1] http://de.encarta.msn.com/Evolutionismus.html 22-11-05

[2] [13] [14] [16] [17] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite 21-11-05

[3] [7] [18] vgl. Thiel, Josef Franz 1992. Grundbegriffe der Ethnologie. Berlin

[4] [5] [9] [10] [15] Barnard, Alan 2000. History and Theory in Anthropology. Cambridge University Press

[6] [11] vgl. Barth, Fredrik ua. 2005. One discipline, four ways: British, German, French, and American anthropology. Chicago

[8] Prof. Gingrich Vorlesung. Einführung in die Geschichte der Kultur- und Sozialanthropologie. 19-10-05

[12] vgl. Eriksen, Thomas Hylland 2001. Small Places, Large Issues, An Introduction to Social and Cultural Anthropology, Second Edition. London



2 Comments:

Anonymous Wohnungsräumung said...


vielen Dank ... Ich hoffe, dass weitere Themen

2:03 PM  
Anonymous Wohnungsräumung Wien said...

Danke schön 
Wohnungsräumung 3/1
Wohnungsräumung Wien

12:18 PM  

Kommentar veröffentlichen

<< Home