Donnerstag, Jänner 12, 2006

Essay # 2 (13-01-06)

Mauss, Van Gennep

Diskutiere die wichtigsten Aussagen der Werke „Die Gabe“ von Marcel Mauss und „Rites de Passage“ von Arnold Van Gennep.

Wie sind die beiden Autoren im Kontinuum ausgehend vom Durkheim’schen Werk bis zum Strukturalismus einzuordnen?

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Einleitung

In der Kultur- und Sozialanthropologie gibt es viele Wissenschafter, die für diese Disziplin äußerst wichtige und maßgebliche Werke schufen.

Studiert jemand dieses Fach wird er auch über diese Namen nicht herum kommen: Marcel Mauss und Arnold van Gennep, ihres Zeichens beide französische Anthropologen.

Ihre Werke, sowohl „Essay sur le don“ (im Deutschen erschienen unter dem Titel: „Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften“) von Mauss also auch „Les rites de passage“ (dt. „Übergangsriten“) von van Gennep trugen wesentlich zu den heutigen Theorien auch in anderen Disziplinen, wie zB. in der Soziologie, bei.



Marcel Mauss

Mauss, der gleichzeitig Emile Durkheims Neffe und auch Schüler war, wurde immer wieder von Kollegen vorgeworfen, in seinen Arbeiten keine Struktur zu verfolgen, geschweige denn, überhaupt ein System zu haben. Nichtsdestotrotz ist „Die Gabe“ insbesondere aufgrund seines Inhalts und der folgenden Theorien sein Meisterwerk gewesen. [1]

Weiters sollte noch bemerkt werden, dass Mauss selber kein großer Feldforscher war, jedoch über ein enormes Wissen über Kulturgeschichte, Sprachen und ethnographische Forschungen verfügte, was es ihm ermöglichte, Phänomene wie Opferungen oder den Austausch von Geschenken zu analysieren. [2]


Die Gabe

Der Austausch von Geschenken stand im Mittelpunkt in „Die Gabe“. Edward E. Evans-Pritchard lieferte das Vorwort dazu und meinte in diesem, dass Mauss immer nur begrenzte Tatsachenbereiche verstehen wollte und dies über die Erfassung sozialer Phänomene in ihrer Totalität erfolgen sollte. [3]

Mauss definiert die zentrale Frage in seinem Essay folgendermaßen: „Welches ist der Grundsatz des Rechts und Interesses, der bewirkt, dass in den rückständigen oder archaischen Gesellschaften das empfangene Geschenk zwangsläufig erwidert wird? Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, dass der Empfänger sie erwidert?“ [4]

Dabei nannte er die Methode der Forschung den „präzisen Vergleich“, durchgeführt anhand der Beispiele in Polynesien, Melanesien, Nordwestamerika und diverser größeren Rechtssysteme. [5]

Betrachtet man den Austausch von Geschenken als soziales Phänomen, sollte man zunächst definieren, ab wann eine Transaktion als Geschenksaustausch gilt.

Es sollten keine Kosten für den Empfänger entstehen und ein Retourgeschenk darf nicht zur selben Zeit zurückgegeben werden – auf diese Weise entsteht ein soziales Netzwerk, da es die Menschen so miteinander verbindet und einander auch verpflichtet. Das Prinzip der Gegenseitigkeit wird als Reziprozität bezeichnet – eine Theorie, die sowohl von Lévi-Strauss als auch von Bourdieu aufgenommen wird. [6]

Der Gebende erwartet ein Gegengeschenk zu einem anderen Zeitpunkt oder zumindest Anerkennung und Dankbarkeit. Theoretisch erfolgt der Austausch freiwillig, ist aber unter diesem Aspekt gesehen nicht umsonst – Mauss nennt es das „System der totalen Leistungen“. Gleichzeitig ist der Austausch Teil bzw. Basis der Struktur einer Gesellschaft, somit liegen dem nicht nur rein ökonomische Interessen zugrunde. [7] [8]

Ein Beispiel für eine eher seltene Form der totalen Leistungen sind für Mauss die Indianerstämme der Tlingit und der Haida im Nordwesten Amerikas.

Hier ist es wichtig, den Begriff „Potlatsch“ zu erklären. Das Wort Potlatsch selbst ist ein Ausdruck für „ernähren“, „verbrauchen“ in der Sprache der Chinook-Indianer. [9]

Mauss beruft sich hier auf Boas, der auf dieses Phänomen zuvor bei den Kwakiutl in Nordamerika traf. [10]

Es handelt sich hierbei um ein Fest im Winter, bei dem sich Stämme gegenseitig beschenken, was insbesondere bei den eben erwähnten Stämmen oft ausufert, da jeder den anderen mit seinen Geschenken überbieten möchte und dies bis zur Zerstörung angehäufter Reichtümer führen kann. Aufgrund dessen bezeichnet Mauss diese Institution auch als „totale Leistung vom agonistischen Typ“. Ihm zufolge gibt es auch gemäßigtere Formen, insbesondere in der antiken indoeuropäischen Welt. [11]

Grundsätzlich teilt er den Prozess in drei Verpflichtungen: die des Gebens, des Annehmens und des Erwiderns. Die Verabsäumung eines dieser Punkte soll ihm zufolge in manchen Kulturkreisen einer Kriegserklärung gleichen. [12]

Mauss beschäftigte sich auch mit Malinowskis Bericht über die Trobriander und konnte dank seiner Sprachkenntnisse auch neue Schlüsse ziehen, die letzterem verborgen blieben. [13]

Die Trobriand-Inseln in Melanesien sind unter anderem Schauplatz für den Kula, der den intertribalen Handel fördert und durch Reisen ausgeführt wird.

Der Kula kann größer oder kleiner sein, es werden Seereisen gemacht, um andere Stämme mit Muschelketten (nur von Westen nach Osten) bzw. Armreifen (Osten nach Westen) beschenken, in der Gewissheit, nach einiger Zeit selbst Gaben zurückzubekommen (bei kleineren Reisen werden auch Frachten ausgetauscht, dies wird dann aber als gimwali bezeichnet). Auch hier darf man nach Erhalt einer Gabe nicht unmittelbar etwas zurückgeben.

Mauss kritisiert hier Malinowski indem er meint, dass dieser übertrieben habe mit der Darstellung der Tatsachen als Neuheit, die er in seinem Bericht beschrieb. Weiters deutet er verschiedene Szenen anders als Malinowski, was auf seine Kenntnisse in ozeanischen Sprachen zurückzuführen ist. [14]



Arnold van Gennep

Arnold van Gennep, von französisch-deutsch-niederländischer Herkunft (er wurde in Deutschland geboren), zählt zu den französischen Anthropologen.

Im Gegensatz zu Mauss und anderen Kollegen betrieb er wirklich Feldforschungen vor Ort und hatte ein Talent für verschiedenste europäische Dialekte.

Zu seinen Interessen gehörte auch die Folklore, was der Kreis um Durkheim wohl auch eher belächelte, dennoch veröffentlichte er mehrere Schriften dazu.

Er war auch einer von Durkheims Kritikern und hatte in verschiedenen Thematiken unterschiedliche Ansichten, beispielsweise in dessen Modell vom Totemismus. Im Gegenzug dazu wurde er von den dessen Anhängern auch nicht unbedingt Ernst genommen. [15]



Übergangsriten

Les rites de passage (1909) ist van Genneps bekanntestes Werk und seine hier ausgeführten Theorien über Rituale wurden seit ihrem Erscheinen im Großen und Ganzen nie in ihrem Fundament kritisiert. [16]

Parkin meint über dieses Werk, dass es im Wesentlichen von den Übergängen in verschiedene Zustände handelt.

Grundsätzlich teilt er ein Ritual in drei Etappen ein: das Verlassen des alten Zustandes, die Zeit danach - die Liminalität, also Übergangsphase – und letztlich das Eintreten in einen neuen. [17]

Entsprechend dieser Reihenfolge ordnet van Gennep jene Etappen den Unterkategorien der Übergangsriten zu: „… Trennungsriten („rites de séparation“), Schwellen- bzw. Umwandlungsriten („rites de marge“) und Angliederungsriten („rites d’agrégation“)…“ [18]

Van Gennep vertrat die Aussage, dass Rituale in allen Gesellschaften auf diese Art und Weise dreigeteilt sind, obwohl er zugab, dass die liminale Phase auch nur sehr kurz sein kann. [19]

Dennoch sollte angemerkt werden, dass er ausdrücklich betonte, dass er keineswegs alle Geburts-, Initiationsriten etc. lediglich als Übergangsriten sah.

Abgesehen vom Wechsel von dem einen Zustand in den nächsten haben diese auch jeweils spezielle Funktionen. Hier führte er unter anderem Bestattungszeremonien als Abwehrriten oder Hochzeitszeremonien als Fruchtbarkeitsriten an. [20]

Auch Eriksen führt über van Genneps Aussagen aus, dass die Gesellschaft sich über Rituale selber reproduziere, da auch durch die öffentliche Aufführung das Bewusstsein einer Integration in eben jener Gesellschaft gestärkt werde.

Im weiteren Verlauf weist er auch auf Victor Turner hin, der van Genneps Theorien weiterentwickelte während er bei den Ndembu im heutigen Zambia forschte – er schrieb den Ritualen sowohl einen integrativen Aspekt („communitas“) als auch eine mystische Erfahrung zu. [21]

In Übergangsriten schreibt van Gennep, dass ihm sowohl die Bedeutung als auch die Abfolgeordnung der Riten wichtig waren, aus letzterem kam schließlich seine Schlussfolgerung, dass sie im Wesentlichen immer gleich blieb, woraus er auf die bereits beschriebene Struktur schloss.

Weiters erwähnt er die „Umwandlungsphasen“, die gewissermaßen unabhängig sind, hierfür nennt er Schwangerschaft, Trauerzeit etc.

Auch werden Übergänge in Ritualen oft räumlich dargestellt, beispielsweise durch das Durchschreiten eines Tores oder Ähnlichem. [22]



Die Protostrukturalisten

So unterschiedlich Mauss und van Gennep gewesen sein mögen, beiden gemein ist, dass Durkheim auf sie Einfluss hatte, wenn auch dieser von unterschiedlicher Natur war: van Gennep widersprach ihm öfters, konnte seine Analyse der Rituale viel ausgefeilter und neuartiger entwickeln als jener und wurde von dessen „Fraktion“ eher unterschätzt. [23]

Mauss hingegen, als Durkheims Schüler, teilte in vieler Hinsicht dessen Sichtweisen und enthielt sich aus Loyalität jedweder Kritik, seine Schriften waren aber viel empirischer als die seines Onkels, was man – sofern man möchte – auch als Kritik betrachten könnte. [24]

Für Durkheim war die Religion ein zentrales Thema. Er behauptete, die Gesellschaft bete sich selbst an, da ihr jeweiliger Gott eine Darstellung ihrer selbst in symbolischer Form wäre.

Ihm zufolge soll sie auch die Religion dazu nutzen, um ihren Mitgliedern über öffentliche Rituale Werte aufzuerlegen, was in diesem Sinne Macht bedeute.

Van Gennep sah Rituale vor allem auch (aber nicht nur) als Übergänge zwischen Bedingungen und Zuständen, Aspekte der Macht sollen erst nachfolgend hinzugefügt worden sein. [25]

Aufgrund seiner Behauptung, dass alle Rituale in allen Gesellschaften prinzipiell immer die gleichen drei Phasen durchlaufen, kann man van Gennep schon als Protostrukturalisten bezeichnen. [26]

Die Gesellschaft spielte sowohl für van Gennep als auch für Mauss eine große Rolle und beide erkannten, dass sich Einzelphänomene erst durch ihre Einbettung in einem größeren Zusammenhang erklären lassen, was durchaus aus ihren Werken hervorging.

So erkannte Mauss die Wichtigkeit von Beziehungen und hatte mit seinen Theorien einen wesentlichen Einfluss auf Claude Lévi-Strauss, der bekanntlich als Gründungsvater des Strukturalismus gilt. [27]

Es ist durchaus berechtigt zu sagen, dass Mauss und van Gennep Wegbereiter des Strukturalismus waren. Mit ihren Theorien verfolgten sie bereits diese Richtung, gleichzeitig beeinflussten sie auch mit ihren Werken andere Anthropologen, die ihre Ansätze weiterentwickelten. So bildeten sie beide die Grundlage für eine neue Strömung und sind aus der heutigen Kultur- und Sozialanthropologie nicht wegdenkbar.


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Quellen:

Barth, Fredrik et al. 2005. One discipline, Four Ways: British, German, French and American Anthropology. Chicago

Barnard, Alan. 2000. History and Theory in Anthropology. Cambridge University Press

Eriksen, Thomas Hylland. 2001. Small Places, Large Issues: An Introduction to Social and Cultural Anthropology, Second Edition. London

Mauss, Marcel. 1999. Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main

van Gennep, Arnold. 1999. Übergangsriten (Les rites de passage). Studienausgabe - Frankfurt am Main

Internet: www.wissen.de. 10.01.2006-12.01.2006


Referenzen

[1] vgl. Parkin S. 187, 189

[2] vgl. Eriksen S. 17

[3] vgl. Mauss S. 10

[4] Mauss S. 18

[5] vgl. Mauss S. 20

[6] vgl. Eriksen S. 181-183

[7] vgl. Barnard S. 65

[8] vgl. Mauss S. 17, 22

[9] vgl. Gabe S. 23-25

[10] vgl. Eriksen S. 182

[11] vgl. Mauss S. 24-25

[12] vgl. Mauss S. 36, 37

[13] vgl. Evans-Pritchard in "Die Gabe" S. 11

[14] vgl. Mauss S. 54-56

[15] vgl. Parikin S. 180-182

[16] vgl. Parkin S. 181

[17] vgl. Parkin S. 182

[18] van Gennep S. 21

[19] vgl. Parkin S. 182

[20] vgl. van Gennep S. 22

[21] vgl. Eriksen S. 137, 138

[22] vgl. van Gennep S. 183-184

[23] vgl. Parkin S. 180-182

[24] vgl. Parkin S. 172-174

[25] vgl. Evans-Pritchard in "Die Gabe" S. 9

[26]vgl. Parkin S. 182

[27] www.wissen.de

[28] vgl. Parkin S. 189

Freitag, November 25, 2005

Essay # 1 (25-11-05)

Evolutionismus
Von welchen Prämissen geht der Evolutionismus aus und wie können die Grundannahmen und Forschungsergebnisse des Evolutionismus in der heutigen Sozial- und Kulturanthropologie integriert und bewertet werden?

Diskutiere die theoretische Basis dieser anthropologischen Strömung im Zusammenhang mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen bzw. mit politischen und wirtschaftlichen Kategorien der Gegenwart.


1. Einleitung

Als Evolutionismus wird eine Richtung in der Kultur- und Sozialanthropologie bezeichnet, die auf der Grundidee basiert, dass die Menschheit verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft und es somit auch verschiedene Stufen von Kultur gibt. Das Wort „Evolutionismus“ selbst stammt vom lateinischen Wort „evolutio“, das „Entwicklung“ bedeutet, ab.[1]

Diese wird aufsteigend betrachtet, das heißt, das Einfache und Primitive steht am Beginn und entwickelt sich zu etwas Komplexem, Vielschichtigem hin.[2]

Wie die Bezeichnung schon andeutet, wurde der Evolutionismus vor allem durch die von Charles Darwin aufgestellte Theorie über die natürliche Zuchtwahl beeinflusst, von der sich die darauf folgenden Evolutionstheorien ableiten lassen.
Hier anzuführen ist sein wohl bekanntestes Buch „On the origin of species by means of natural selection...“ (1859).

Doch dieses Werk war nicht das einzige, das die ethnologischen Evolutionisten beeinflusste, denn bereits drei Jahre vor dessen Erscheinung publizierte Johann Jakob Bachofen „Das Mutterrecht“. In diesem vertrat er das Entwicklungsschema Hetärismus (Frauen werden von Männern nur als Sexualpartner missbraucht) Mutterrecht - Vaterrecht. Dieses Schema wird allerdings nicht mehr als zeitgemäß betrachtet. [3]

Allgemein war es jedoch den britischen Anthropologen laut Alan Barnard in seinem Buch „History and Theory in Anthropology“ (2000), in erster Linie ein Anliegen, eine Verbindung zwischen den „primitiven“ Völkern aus den Kolonien und dem England der damaligen Zeit herzustellen.


2. Die vier Ströme

Im Großen und Ganzen kristallisierten sich vier Ströme heraus: der unilineare, universale und multilineare Evolutionismus und auch der Neodarwinismus.


1. Unilinear bedeutet, dass alle Gesellschaften dieselben Stadien durchlaufen müssen. [4] Viele Wissenschaftler waren der Ansicht, Matrilinearität käme vor der Patrilinearität, nur waren die Erklärungen dafür sehr verschieden.

Über die Irokesenvölker in Nordamerika war Lewis Henry Morgan der Ansicht, dass sich diese in einem matrilinearen Stadium befänden, das vor einem patrilinearen und nach der Promiskuität kommen solle.[5]

Viele Mitglieder der Ethnological Society waren überzeugt davon, dass eine Ähnlichkeit der zeitgenössischen so genannten Wilden und den ausgestorbenen primitiven Rassen bestehe, womit die indigenen Völker ins Interesse der frühen Anthropologie rückten.
Jene Ähnlichkeit verband Tylor mit seinem Konzept von den „survivals“ oder Überbleibseln: Kulturmerkmale wie Bräuche etc. existieren in Gesellschaften weiter, obwohl sie keine Funktion mehr haben und stellen praktisch Relikte früherer Stadien der Menschheitsentwicklung dar.[6]

Auch bezüglich der Religion stellte Tylor eine Theorie auf – ausgehend vom Animismus (die materielle Welt ist beseelt) gäbe es eine Weiterentwicklung zum Totemismus, gefolgt von Polytheismus und Monotheismus. [7]


2. Als Abschwächung zum unilinearen Evolutionismus, entwickelte sich der universelle.
Hier verfechtete insbesondere Morgan die These, dass sich die Menschheit von „Wildheit“ über „Barbarei“ bis hin zur „Zivilisation“ hin entwickelt habe, was er auch in seinem Buch „Ancient Society“ (1877) diskutierte.
Anstoß zu dieser Entwicklung der Menschen sollen laut ihm Wirtschaft und Soziales gegeben haben, also auch technologische Errungenschaften, was ihn wiederum zu einem siebenstufigen Evolutionsschema führte.[8]


3. Julian H. Steward war ein Vertreter für den multilinearen Evolutionismus – die Devise lautete: Weg von den Verallgemeinerungen und problematischen Behauptungen - Entwicklungen seien immer abhängig vom ökologischen Umfeld.[9]


4. Der Neodarwinismus ist eng mit der Soziobiologie verbunden und auch viel offener. Mit ihm werden Namen wie E. O. Wilson oder auch Robin Fox in Verbindung gebracht. Letzterer vertrat die Ansicht, dass die menschliche Gesellschaft ihr Fundament in der tierischen Soziabilität habe, das heißt, menschliche Verwandtschaftssysteme fänden sich auch unter denen von nicht-menschlichen Primaten wieder. Während einige Spezies sich auf die Abstammung (direkte Generationsnachfolge) beziehen, überwiegt bei anderen das Allianzenschema (durch Heiratsbeziehungen).[10]

Weitere bekannte Anthropologen, die ebenfalls den Evolutionismus vertraten, waren unter anderem John Ferguson McLennan (beschrieb Heiratssitten), Sir Henry Maine, Julian A. Pitt-Rivers oder auch James George Frazer („The Golden Bough“).


3. Kritikpunkte

Ein weiterer Faktor für den Evolutionismus war auch die Annahme, dass Menschen geistig gleich geschaffen seien und sich somit auch auf dieselbe Art und Weise entwickeln können. Diese Voraussetzung der „psychic unity of man“ postulierte insbesondere Tylor in seinem Werk „Primitive Culture“.[11]

Zwar könne man sagen, dass sein Grundsatz, dass alle Menschen gleichwertig sind, ohneweiteres zu befürworten ist, doch der mögliche Schluss, nämlich dass es ein bestehendes einheitliches Entwicklungsschema für die gesamte Menschheit gäbe, ist fraglich und aus Sicht der heutigen Kultur- und Sozialanthropologie abzulehnen.

So waren viele Verfechter des Evolutionismus durchaus überzeugt davon, dass das Endprodukt dieser Weiterentwicklung der menschlichen Kultur die westliche Gesellschaft sei.

Diese Ansicht wird gemeinhin als Ethnozentrismus bezeichnet, also praktisch die Annahme, das eigene Volk bzw. die eigene Kultur stehe an der Entwicklungsspitze. Damit verbunden ist allerdings auch eine Wertung, da aus dieser Sicht heraus andere Formen der Kultur unterentwickelt und somit von geringerem Wert scheinen. Folglich kann man aus dieser Einstellung heraus anderen Kulturkreisen ihre Unterschiedlichkeit von der eigenen nicht zugestehen, wodurch das Verständnis und die Toleranz anderen Ethnien gegenüber stark beeinträchtigt sind.[12]
In der Zeit der Kolonialisierung konnte man besonders gut beobachten, dass sich der „weiße Mann“ dazu berufen fühlte, die „armen Wilden“ zu bekehren, sprich: zu missionieren und vor allem sie zu zivilisieren. Man sah sich als Wohltäter, der sich barmherzig den Primitiven annimmt.
Eng verbunden mit der Anschauung des Ethnozentrismus ist der Eurozentrismus, der Europa als westliches Ideal hernimmt und als Maßstab für außereuropäische Kulturen hernimmt.[13]

Weiters zu beachten gilt, dass beispielsweise durch Migrations-, oder Globalisierungsprozesse Annäherungen von verschiedenen Kulturen entstehen können, die sich dann gegenseitig beeinflussen und neue Kulturmerkmale schaffen. Solche Aspekte, die dem Diffusionismus zugehörig sind, werden von reinen Evolutionisten außer Acht gelassen.[14]


4. Einfluss auf andere Disziplinen

Evolutionistische Ansätze und Theorien finden sich auch in anderen Disziplinen wieder. In erster Linie in der Biologie durch die Darwin’sche Evolutionstheorie, doch auch in der Archäologie war man nicht untätig. Nennenswert in letzterem Fall ist die Drei-Zeitalter-Theorie, die drei Stadien vorsieht: Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit.[15]

Besonders erwähnenswert ist auch die Soziologie, da viele von ihren Wissenschaftlern mit ihren Theorien auch Einfluss auf die Anthropologie hatten.
Beispiel hierfür ist Herbert Spencer, der von manchen als Begründer des Sozialdarwinismus betrachtet wird. Weiters sorgte er auch für die Verbreitung seiner These „survival of the fittest“: Derjenige, der am meisten angepasst ist, überlebt und setzt sich langfristig durch.[16
]

Allgemein ist hier hinzuzufügen, dass die Bandbreite der Disziplinen, die evolutionistisches Gedankengut inne haben, groß ist, da es teilweise auch inhaltliche Überschneidungen gibt und der wissenschaftliche Diskurs ohnehin disziplinenübergreifend stattfand.


5. Nachwirkungen auf die Gegenwart

Auch heute noch haben evolutionistische Sichtweisen großen Einfluss. Auf Morgans Einteilung der Menschen in Unter-, Mittel- und Oberklassen nahmen insbesondere Karl Marx und Friedrich Engels in ihren Schriften Bezug, die auch heute noch im Gedankengut von diversen politischen Parteien eine große Rolle spielen. Für sie bildeten die Klassenkämpfe - anders ausgedrückt Konflikte, die sich aus den Strukturen heraus ergeben - die Grundlage für die soziale Evolution.

Im Falle des Ethnozentrismus sieht man auch hier die früher industrialisierten Staaten an der Spitze der Entwicklungspyramide und diejenigen, die weniger entwickelt sind, als Länder, die sich deren Errungenschaften noch aneignen müssen.

Diese Sichtweise wird auch heute noch von vielen vertreten, doch ist auch hier der Kritikpunkt die Annahme einer Entwicklungslinie, die für alle Gesellschaften auf der ganzen Welt gelten soll, ohne einzelnen Gruppen ihren eigenen und von „moderneren“ Kulturkreisen unabhängigen Fortschritt in eine Richtung zuzugestehen, die sich von anderen Varianten unterscheidet.[17]

Nur zu schnell ist man versucht, über andere zu urteilen bzw. sie zu verurteilen. Eine differenzierte Sichtweise ist hier also erforderlich, Wertungen sollten vermieden werden. Dies bedeutet aber nicht, vor offensichtlicher Ungerechtigkeit (obwohl Gerechtigkeit auch wieder subjektiv unterschiedlich empfunden wird) die Augen zu verschließen, ganz im Gegenteil. Es ist nicht falsch, die Existenz von Entwicklungen anzuzweifeln, doch es ist problematisch anzunehmen, dass alle die gleichen Entwicklungsstadien zwangsweise durchlaufen müssen.[18]

Meine persönliche Schlussfolgerung aus dieser Thematik ist, dass es wohl in der Natur des Menschen liegt, alles in Kategorien zu unterteilen und eine Übersicht schaffen zu wollen. Selber ist man selbstverständlich der Gipfel der Schöpfung.

Wie könnte es auch anders sein?

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Quellen/Referenzen

[1] http://de.encarta.msn.com/Evolutionismus.html 22-11-05

[2] [13] [14] [16] [17] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite 21-11-05

[3] [7] [18] vgl. Thiel, Josef Franz 1992. Grundbegriffe der Ethnologie. Berlin

[4] [5] [9] [10] [15] Barnard, Alan 2000. History and Theory in Anthropology. Cambridge University Press

[6] [11] vgl. Barth, Fredrik ua. 2005. One discipline, four ways: British, German, French, and American anthropology. Chicago

[8] Prof. Gingrich Vorlesung. Einführung in die Geschichte der Kultur- und Sozialanthropologie. 19-10-05

[12] vgl. Eriksen, Thomas Hylland 2001. Small Places, Large Issues, An Introduction to Social and Cultural Anthropology, Second Edition. London